Hab mich jetzt doch entschlossen was aufzuschreiben.
Im Mai 2012, am Ende meines Masterstudiums in Lund in Südschweden, haben Shuyan und ich uns versprochen uns gegenseitig zu besuchen. Shuyan ist Chinesin. Sie lebt in Peking. Ich in Deutschland. Erst in Berlin. Dann in Lüneburg. Wir haben nicht gesagt, wann wir uns besuchen. Ich weiß auch gar nicht mehr, ob es mehr eine Gefühlsduselei war oder wie ernst es uns wirklich war. Aber gleich im Sommer 2012, als ich für ein Praktikum in Indien war, habe ich mit dem Gedanken gespielt - schon relativ in Shuyans Nähe - mal “kurz” zu ihr nach China rüber zu fliegen. Aber daraus wurde nichts. Die Flüge zu teuer, das Praktikum und Indien auch so schon aufregend.
Ein Jahr später, im Sommer 2013, mein erster richtiger Job. Nicht in Berlin, wie erhofft. Sondern in Lüneburg. Eine auf 3 Jahre befristete Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Damals denke ich noch, gut, ich nehme diese Stelle, die inhaltlich den totalen Traumjob darstellt, promoviere innerhalb der 3 Jahre und danach mache ich mich mit Mu auf nach Peking, bevor wir wieder nach Berlin ziehen.
Jetzt ist Frühjahr 2018. 4,5 Jahre später. Mu und ich sind immer noch in Lüneburg. Promoviert habe ich bislang nicht und habe es auch nicht mehr vor - auch wenn ich hin und wieder noch mal mit dem Gedanken spiele. Berlin ist nicht mehr der Sehnsuchtsort von 2013. Und Shuyan hat mich noch nicht besucht. Mein Wunsch sie in Peking zu besuchen, hat die 4,5 Jahre überdauert. Manchmal war ich mir nicht sicher, ob Mu und ich damit eines Tages wirklich ernst machen. Und Shuyan war via Whatsapp eine zeitlang genervt und enttäuscht, dass ich nicht endlich vorbeikam und dann schrumpfte der Kontakt auf ein Minimum zusammen.
2015 hatten Mu und ich angefangen gemeinsam Geld beiseite zu legen für die Reise oder vllt für etwas anderes. Jeder von uns so viel, wie er monatlich bequem konnte. Wofür wir genau sparen, haben wir nicht komplett festgelegt, um nicht so viel Druck zu erzeugen. Wir haben rumgeblödelt: Für die Reise nach China oder doch für ein Auto oder für zwei Wochen Luxus-Kreuzfahrt oder alles im Casino verzocken oder einfach nur fürs Altenteil.
2016 dann, als meine Stelle auslief, hätten wir fahren können. Aber Mu meinte, bei ihm wäre es jobmäßig gerade sehr spannend. Er wolle jetzt nicht weg. Ich bekam einen Anschlussvertrag bis Herbst 2018. Also blieben wir, mit der Idee im Hinterkopf, dass wir dann aber im Herbst 2018 w i r k l i c h aufbrechen. Ich war mir nicht sicher, wie sehr wir das wirklich meinten oder nur Zeit schinden wollten, um wieder in Ruhe auf Lüneburg und unsere Jobs fokussieren zu können.
In der 2. Hälfte 2017 hab ich dann so viel gearbeitet, wie ich nur irgendwie aus mir herausholen konnte.. Und irgendwann in diesem Sommer stand Mu in der Tür zum Arbeitszimmer, wo ich am Schreibtisch saß und ich hab ihm die Pistole auf die Brust gesetzt: Was ist denn jetzt, mit unserer Reise? Was ist mit Peking? Ist es vergessen? Meinen wir es noch ernst? Wenn wir es machen wollen, dann müssen wir selbst irgendwann aktiv die Zelte in Lüneburg abbrechen und uns aufmachen. Dann brauchen wir eine Deadline. Anders wird es nie passieren. Anders keulen wir weiter, in Lüneburg od anderswo. Mu stand in der Tür und hat überlegt - nicht sehr lang - dann hat er gesagt: Ok, wir machen es!
Zum Jahreswechsel 2017 / 18 haben wir mit den Planungen begonnen. Themen und Fragen gesammelt: An was müssen wir alles denken? Wo wollen wir eigentlich genau hin, Peking oder weiter und wie lange? Es war ein etwas euphorischer Aufbruch mit lauter vagen Ideen, vielen ungeklärten Fragen und dem Wunsch alles schön strukturiert mit Google auszuarbeiten. Als Startzeitpunkt für unsere Reise haben wir Ende Januar 2019 ausgemacht. Als maximale Reisedauer 1 Jahr. Möglichst wenig, am besten nicht Fliegen. Auf jeden Fall Transib - von Moskau nach Peking. Und: Wir sprachen jetzt nicht mehr von Reise zu Shuyan nach China, sondern von Weltreise. In der der Besuch von Shuyan definitiv wesentlicher Bestandteil ist aber nicht das alleinige Ziel. Wir verabredeten von jetzt an regelmäßig über die Reise zu sprechen und sie damit immer konkreter zu machen, Aufgaben unter uns zu verteilen, zu recherchieren, mit Freunden zu reden, die bereits längere Reisen gemacht hatten, unsere Wünsche und Ängste zu thematisieren. Vieles davon haben wir in den Wochen darauf angefangen umzusetzen. Wir haben über die Route gesprochen und sie auf der Weltkarte überm Esstisch mit Pins und Wollfaden abgesteckt. Sie ist noch sehr fuzzy, alles ab hinter Peking ist uns völlig schleierhaft. Südostasien steht als nächstes Etappenziel vage im Raum. Und dann nach Australien zu meiner Schwester und ihrer Familie? Oder in die USA und nach Kanada? Wie wir zurückkommen haben wir noch gar nicht besprochen.
Mu begann sich über Jahreszeiten, Klimazonen und Visa zu informieren. Ich über Krankheiten und Impfungen. Mu begann via App Chinesisch zu lernen. Ich meldete mich bei der VHS für Russisch an. Ich schrieb Shuyan bei Whatsapp und kündigte ihr an, dass wir sie gern 2019 besuchen würden. Es dauerte eine Woche bis sie antwortete. In China ist es mit Whatsapp schwierig, meinte sie aber sie freue sich sehr und wir sollen uns melden, sobald wir genaueres wüssten. Wir freuten uns sehr.
Mu war besonders euphorisch bei der Planung dabei und wollte mir gern davon erzählen. Ich war bald genervt, verschwand im Lüneburger Alltag und wollte bald nicht mehr viel von der Planung hören. Wir schalteten in Sachen Planung einen Gang zurück, sprachen jetzt aber vor unseren Familien und Freund*innen von unserem Vorhaben und ernteten viel Bewunderung. Mir wurde klar, wir würden zwar erst Anfang 2019 wirklich zur Reise aufbrechen, aber irgendwie hatte sie doch schon begonnen. Mit einem sehr langen organisatorischen und emotionalen Vorspann. Ich ruderte auch hier ein stückweit zurück, sagte Mu, mir ginge es nicht darum, Länder abzuhaken, Sehenswürdigkeiten im Gedächtnis zu horten, Freund*innen oder Familie zu beeindrucken und vllt sei auch Weltreise ein arg aufgeladener und hochgestochener Begriff, auf den wir lieber verzichten sollten. Wir einigten uns auf Asienreise als Alternative. Ich wollte und will immer noch langsam reisen, auch deshalb nicht fliegen. Ich will graduell erleben, wie die Landschaft sich ändert, wie wir von einem Land ins nächste reisen. Ich möchte Zeit haben Orte und Menschen zu erleben und ihnen nah zu sein, auch wenn mir als arg introvertierter Mensch völlig schleierhaft ist, wie das gehen soll.
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