Am Ende wurde es dünn für uns in Spanien. Binnen einer Woche sollten endgültig alle Hotels, Pensionen etc. schließen und alle Reisenden das Land verlassen. Daneben sowieso schon seit einer Woche Ausgangssperre. Da war dann nicht mehr viel Bewegungs- oder Entscheidungsfreiraum für uns und die Reise, stattdessen die glasklare Frage, wie wir schnell nach Hause kommen. Es wurde eine irrwitzige Odyssee. Es hat ewig gedauert. Es war teuer und jeder Schritt unglaublich kompliziert aber hey: Am Ende hat es geklappt, wir sind zurück in Deutschland. In Lüneburg.

Doch von vorn:
Unser Flug ging tagsdrauf um 13.15 Uhr von Santiago de Compostela nach Frankfurt am Main. Theoretisch. Tickets hatten wir. Trotzdem war uns klar, dass wir damit rechnen mussten, dass der Flug jederzeit gestrichen werden konnte. Doch solange das nicht der Fall war, machten wir uns auf den Weg. Mit dem Rad zum Flughafen hätten wir es nur geschafft, wenn wir morgens im Dunkeln losgefahren wären. Darauf wollten wir gerne verzichten. Der erste Bus fuhr gegen 11.30 Uhr. Zu spät für unseren Flug. Wir hätten auch gern das Taxi genommen aber der Mensch an der Hotline konnte nur Spanisch und unser Spanisch war zu rudimentär, um zwei Grossraumtaxis für zwei Tourist*innen und zwei Räder zu bestellen. Tja, wie also zum lächerliche 50 km entfernten Flughafen kommen? Wir schrieben dem Busunternehmen (Googletranslate sei Dank!). Das empfahl uns den Bus am Vorabend, der würde auch Räder mitnehmen. Das würde bedeuten, dass wir eine Nacht am Flughafen verbringen würden. Wir buchten ein günstiges Hotelzimmer in Flughafennähe, packten alles fix zusammen und machten uns auf zur Bushaltestelle. Als der nigelnagelneue und komplett leere Bus vorfuhr, schüttelte der Busfahrer sofort den Kopf, als er unsere Räder sah und erklärte uns wortgewaltig, warum er die nicht mitnehmen könne. Wir verstanden nur irgendwas von Corona und Sanitär. Wahrscheinlich fiel uns dem Moment alles aus dem Gesicht. Ich fühlte mich jedenfalls so und mein Kopf schwankte zwischen: Nicht dein Ernst!, Wie sollen wir dann zum verdammten Flughafen kommen? und: Ich bleib hier solange stehen, bis wir doch mitdürfen. Und tatsächlich durften wir nach einer Weile sturen Stehens und verwirrten Starrens samt Räder einsteigen. Auf der Fahrt zum Flughafen sagte uns dann das Hotel wegen Corona ab. Nagut dachten wir, dann pennen wir eben aufm Flughafen. Am Flughafen liefen wir dann aber direkt Security und Polizei in die Arme, die meinten, ihr könnt hier wegen Corona nicht schlafen, ihr müsst euch ein Hotel organisieren. Joar, dachten wir, so langsam wirds richtig absurd. Also telefonierten wir noch mal sämtliche Hotels in der Nähe ab. Tatsächlich ging auch fast überall jemand ran aber alle sagten uns das Gleiche: Wegen Corona momentan geschlossen. Am Ende durften wir doch auf dem Flughafen pennen, auch wenn wir gegen vier Uhr nochmal daran erinnert wurden, dass das eigentlich nicht ok ist.

Den ganzen nächsten Vormittag beobachteten wir die Anzeigetafeln, sämtliche Flüge waren gestrichen. Unser zum Glück nicht. Bis zum Abflug suchten wir fieberhaft nach Möglichkeiten, wie wir unsere Fahrräder wohl in den Flieger oder irgendwie nach Hause kriegen könnten. Denn: Am Flughafen war wegen Corona alles geschlossen bis auf den Support für Rollstuhlfahrer*innen und zwei Airlineschalter. Uns war klar, dass wir keinen Karton für unsere Räder auftreiben konnten, obwohl es im Internet hieß, Räder könnten am Flughafen easy verpackt werden. Nur: Ohne Karton oder Tasche dürfen Räder offiziell nicht transportiert werden. Wir hatten aber weder Lust die teuren Flugtickets verstreichen zu lassen, noch unsere Räder in Santiago zurück zu lassen. Was tun? Dank einer sehr besonnenen und kulanten Lady am Airlineschalter durften die Räder am Ende ganz ausnahmsweise unverpackt mit in den Flieger. Wir waren total erleichtert.

In Frankfurt am Main waren wir dann aus diversen Gründen binnen kurzer Zeit total verwirrt und k.O. Zum Beispiel konnten wir einfach so überall durchmarschieren. Keiner wollte wissen, ob wir gerade aus einem Risikogebiet kommen. Bei niemandem wurde Fieber gemessen. Dann war es an den Gepäckbändern total voll, so dass man den 1-2 Meter Abstand direkt vergessen konnte. Und ausserdem waren wir mittlerweile 20 h unterwegs und hatten kaum etwas gegessen und auch nicht besonders viel geschlafen.

Im Zug von Frankfurt nach Lüneburg saßen dann in unserem Wagon vier Männer, die sich bald als Schwarzfahrer entpuppten. Dann hiess es, die Männer hätten obendrein auch noch alle Fieber gehabt. Corona? Die Polizei rückte an, um von allen im Wagon die Kontaktdaten aufzunehmen (um ggf. die Infektionskette nachverfolgen zu können) und obendrein den Wagon zu evakuieren. Mir erschien mittlerweile durch Corona alles als total ballaballa und ich wollte einfach nur noch irgendwo ankommen. Dann, nach 26 h lief der Zug in good old Lüneburg ein und es warteten sogar zwei Freunde ultralieb in der Kälte am Bahnhof auf uns, um uns aus sicherem Abstand willkommen zu heissen. Und weiter gings in Hendricks altes Büro, wo uns sein alter Chef ebenfalls sehr lieb mit Snacks, Gin und Klopapier begrüßte. Und da sind wir jetzt seit drei Tagen. Andere machen gerade Home-Office, wir l e b e n im Office-Home!

Es ist der helle Wahnsinn wieviel Hilfsbereitschaft und (virtuelle) Wiedersehensfreude uns von Familie und Freund*innen entgegenschlägt. Und tatsächlich sind wir in dieser Ausnahmesituation auf Support und Kulanz anderer angewiesen. Ich bin sehr sehr dankbar für die angebotene Hilfe und bin baff von den tollen Leuten um uns herum. Dadurch können wir erstmal hier im Büro unterkommen, haben quasi eine Wohnung mit abnorm vielen Bildschirmen und Schreibtischen ganz für uns. Wir dürfen unsere Post zu einer Freundin leiten, Winterklamotten von einer anderen leihen, kriegen Reparaturzeugs für die Räder und Unterlagen fürs Arbeitsamt von Papo geschickt und Couches, Gästezimmer und ganze Wohnungen von Freund*innen angeboten, genauso wie Wäsche- und Einkaufsservice. Ich sag ja, es ist der helle Wahnsinn! Und dann sind da noch die vielen schönen Kontakte über Skype und Telefon. Unsere Handys stehen nicht still, wir frühstücken virtuell mit Familie in Rostock, Berlin und Australien. Wir essen virtuelles Abendbrot mit Freund*innen in Berlin, Lüneburg und Leipzig. Wir telefonieren mit ganz euphorischen Omas, die sich so dermaßen darüber freuen, dass wir heil zurück sind, dass sie halb ins Telefon kreischen und sich ihre Stimme juchzend überschlägt.

Es fühlt sich aber auch eigenartig an plötzlich aus der Reise gerissen zu sein, keine Freund*innen und Familie persönlich drücken zu können, uns in dieser massiven Unsicherheit und Kontaktsperre schwerlich eine eigene Wohnung organisieren zu können, geschweige denn einen Job. Es fühlt sich eigenartig an nach Hause zu kommen und sich auch hier wieder verschanzen zu müssen. Wir wollen erstmal ein paar Tage abwarten, ob wir uns auf der Heimreise was eingefangen haben. Wir versuchen besonnen zu bleiben, lernen weiter Spanisch und lesen die Nachrichten. Aber dieses Nichtstun in eine ungewisse Zukunft hinein, dieses Warten hinter Gardinen auf eine eventuelle Apokalypse des Gesundheitssystem und der Wirtschaft macht auch fertig. Und macht mir wilde Stimmungsschwankungen. Ich bin sicher, so geht es gerade ungefähr allen. Ich will mich hier in keinster Weise beschweren, wir haben es irre gut getroffen. Ich wollte euch nur an unserer Heimreise und Ankunft teilhaben lassen und vielleicht auch ein bisschen Solidarität und Gemeinschaftssinn ausstrahlen, wo wir da alle gerad gemeinsam drinhängen. Keine Ahnung, was mit uns zweien wird. Ideen hatten wir viele, Hummeln im Po haben wir auch aber jetzt ist erstmal Corona dran. Ich hoffe sehr, dass wir es alle gemeinsam hinkriegen, die Infektionskurve abzuflachen. Passt alle gut auf euch auf und bleibt gesund.