Zum Abschluss unseres Aufenthalts in der Ukraine, bevor es heute nach gen Russland geht, haben wir uns einen Ausflug von unserem üblichen Reisemodus gegönnt. Zu Recht westlichen Preisen haben wir einen Bus bestiegen und uns von Natalja Priprjat, Chornobyl, und Reaktor Nummer Vier zeigen lassen.

Früh morgens um acht, frisch aus dem Nachtzug aus Lviv angekommen, holen wir uns noch schnell Schokocroissants und Baguette vom Bäcker, bevor wir den 20-sitzigen mercedes mit unserer heutigen Reisegruppe besteigen. Nach etwa einer Stunde Fahrt und einem kleinen informativen Film kommt eine Polizeikontrolle - die Pässe werden gecheckt, wir bekommen ein kleines Gerät zur Radioaktivitätsnessung um den Hals gehängt, und wir betreten die 30km große Sperrzone um den verunglückten Reaktor.

Erster Halt ist ein verlassenes, überwachsenes Dorf, mit Laden und Arztpraxis. Einige hundert Meter weiter halten wir nochmal an, diesmal für eine andere Sehenswürdigkeit: einen "Hotspot". Um der radioaktiv verseuchten Gegend Herr zu werden, wurde an vielen Stellen Bauschutt, Möbel, oder sonstiger Müll einfach vergraben. Genauso wurde durch Wasser radioaktive Partikel an bestimmte stellen gespült. Die in unserer Gruppe verteilten Geigerzähler fangen auf einmal an wild zu piepen - der normale Wert von 0,15 schnellt kurz auf 5 oder 6 hoch. Nur an einer Stelle unter einem Baum.

Einige Kilometer weiter kommen wir zum zweiten Checkpoint. Ein Radius von 10km um den Reaktor bildet die absolute Grenze. Während in der Zone davor einigen Menschen erlaubt wurde wieder in ihre Häuser zurück zu kehren, ist hier absolute Sperrzone. Nach nochmaligen Check geht es in die Stadt Priprjat, in der die meisten der Arbeiter des Atomkraftwerks wohnten. Eindrucksvoll zeigt uns unsere Leiterin Fotos aus der Grade frisch erbauten Stadt, mit Leben gefüllt, sonnengeflutet, ein sozialistischer Traum. Auch wenn wir oft aus demselben Winkel auf die Gebäude schauen, ist es schwierig die Stadt wieder zu erkennen. Der Wald, der auf dem gerade fertiggestellten Fussballrasen des örtlichen Stadions gewachsen ist, zeigt deutlich wie die Natur sich den Raum wieder erobert hat. Obligatorisch ist auch der Besuch des kleinen Vergnügungsparks, mit Riesenrad und Autoscooter. Die zwischenzeitlichen radioaktiven Hotspots und die nervös piependen Geigerzähler erinnern immer wieder daran, dass das spezielle an dem Ort nicht nur der Verfall und die Natur ist.

Danach geht es zum Kernstück der Exkursion. Da es nach internationalem Gesetz nur erlaubt ist, Reaktoren aus einem bestimmten Winkel zu fotografieren, müssen wir das Gelände der vier Atomreaktoren erst umfahren, um zum Denkmal vor dem inzwischen gut verhüllten Reaktor Vier zu kommen. Explodiert ist nur dieser, die ersten drei würden teilweise noch bis ins Jahr 2000 weiter benutzt.

Vor einigen Jahren wurde der sogenannte Sarkophagus erneuert. Wegen Baufälligkeit des ersten wurde einfach ein zweiter darübergesetzt. Kein einfaches Unterfangen, da das Konstrukt zur Sicherheit der Arbeiter nicht an Ort und Stelle errichtet werden konnte, sondern daneben fertiggestellt wurde, um es dann mittels Kräne über den Reaktor zu stülpen.

Danach geht es zur Mittagspause in die Kantine der Kraftwerksmitarbeiter - die es tatsächlich noch gibt, da alle Reaktoren inzwischen zurückgebaut werden. Mit Hähnchenschnitzel und Graupen geht es weiter nach Chornobyl.

Hier gibt es nur einige kurze Aufenthalte, die Stadt wird inzwischen wieder von Arbeitern bewohnt. Die Stadt Priprjat liegt eigentlich viel näher an den Reaktoren, allerdings gab es die Stadt bei Inbetriebnahme des ersten Kraftwerks schlicht noch nicht, daher trägt es den Namen der Stadt Chornobyl. Die Schreibweise mit dem e - Chernobyl - ist übrigens die russische. Aber das kommt ja bekanntlich momentan in der Ukraine nicht so gut an.

Bevor wir dann die Zone verlassen und zurück nach Kiew fahren, besichtigen wir noch eine kleine Anlage. Die Sowjets hatten in der Nähe des Kraftwerks ein imposantes Antennengerüst aufgebaut, das Teil eines Früherkennungssystems werden sollte, um amerikanische Atomraketen im Anflug zu erkennen. Bevor das System aber erfolgreich in Betrieb genommen werden konnte, kam die Reaktorkatastrophe dazwischen.

Zurück in Kiew können wir feststellen, dass sich der Ausflug gelohnt hat. Der befürchtete Fokus auf schicke Instagrambilder hat sich nicht bewahrheitet, sondern wir haben in der Tat ein gutes Bild davon bekommen, was damals passiert, was schiefgelaufen ist, und was Radioaktivität jetzt noch in der Gegend bedeutet. Allen nervösen Eltern sei übrigens gesagt: die in 8 Stunden gesammelte Radioaktivität entspricht ungefähr der Dosis eines einstündigen Fluges.