Falls in den letzten Wochen und Monaten der Eindruck entstanden sein sollte, will ich ihn hiermit korrigieren: Nein, Reisen macht nicht immer nur Spaß. Wir sind nicht immer bester Laune und tierisch neugierig, offen, geduldig und verständnisvoll gegenüber anderen Kulturen. Und Menschen anderer Länder sind nicht alle durch die Bank weg bezaubernd aufgeschlossen, hilfsbereit und gastfreundlich. Wie in Deutschland halt auch nicht. Und nein, nicht alle Orte, an die wir kommen, sind atemberaubend schön, die Küche ist nicht immer lecker und auch Trinkwasser und Essen sind nicht immer da, wenn wir uns das wünschen.
Momentan sitzen wir mit Magen-Darm und Fieber in einem Hostel in Ulanbataar fest. Was wir uns da wo eingefangen haben, bleibt uns schleierhaft. Fakt ist, unsere besten Freunde sind momentan Bett und Klo. Während ich so abgeschlafft daliege, streifen mich Kindheitserinnerungen an Familienausflüge, Garten und Bananenquark, denke ich ans Bell and Beans in Lüneburg, an frischen Salat im Feierabend und Wasser aus dem Hahn, das man einfach so trinken kann. Tut gut das bisschen Zeitreise und Kopfkino nach Hause und bringt auch mehr Wertschätzung für den Lebensstandard in Deutschland.
Ich genieße auch gerade sehr bewusst das Wasserklo und richtige Waschbecken samt warmer Dusche hier im Hostel, die Sauberkeit und das Bett mit richtiger Matratze. Ich genieße die Privatsphäre unseres Doppelzimmers nach vielen Nächten in Zügen und Schlafsälen. Wir haben in den letzten Tagen und Wochen viel Zeit ohne fließend Wasser, ohne Dusche, dafür mit Plumpsklos übern Hof verbracht. Wir haben auf Betten ohne Matratze, auf Feldbetten oder dem Fußboden geschlafen, wir waren Couchsurfen mit Kakerlaken als Mitbewohnern, wir haben mit einem inkontinenten Hund zusammengelebt, der jeden Moment irgendwo hinpinkelt oder -kackt. Wir haben auf Duschen und Zähneputzen in abgelegenen Hotels verzichtet, in denen der Gestank des Badezimmers Brechreiz in uns auslöste. Wir haben in 10er Schlafsälen ohne Fenster übernachtet, auf Gemüse und Obst verzichtet, weil es schlicht keines gab oder wenn nur fauliges.
Ulanbataar hilft uns eventuelles Heimweh zu kontern: Es gibt eine deutschsprachige Bibliothek des Goetheinstituts mit mehr oder weniger aktuellen Ausgaben der ZEIT und Taz. Und durch die engen wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland finden wir in den Supermärkten einen Haufen deutscher Produkte von Alnatura-Erdnussmus, über Aufbackbrötchen und Apfelstrudel bis Toffifee. Wir kochen uns Nudeln mit Tomatensoße, und Apfelmus zum Nachtisch und freuen uns über das Stück Heimat.
Langzeitreisen ist nicht gleich Langzeiturlaub. Über Monate von einem Ort zum anderen, von einem Land zum nächsten zu reisen, bedeutet ständig mit Neuem, mit Unbekanntem konfrontiert zu sein, die Sprache nicht zu können, nicht verstanden zu werden und andere nicht zu verstehen, nicht zu wissen, wo man Lebensmittel bekommt, ob die Leute einen vllt übers Ohr hauen wollen. Langzeitreisen bedeutet für uns auch Budgetreisen und wenig Privatsphäre, erfordert permanente Offenheit, heißt auf völlig Fremde angewiesen zu sein und schnellstens Vertrauen aufzubauen oder zumindest den Versuch dazu zu wagen. Langzeitreisen macht keine Pause. Wir sind ständig unterwegs, ständig 'the other', die Newbies. Um dennoch auch mal Urlaub vom Reisen zu machen, bauen wir immer wieder kleine Ausflüchte ein, z.B. indem wir uns ein Doppelzimmer leisten, teurere aber vertraute europäische Lebensmittel einkaufen oder Puffertage einlegen, in denen jeder seins und wir zusammengenommen nicht viel machen, einfach nur Herz und Gemüt ausruhen, mit Freund*innen und Familie connecten und mal wieder ausreichend schlafen. Ein bisschen so wie Wochenende zu Hause :).
Außerdem lässt sich das Vertraute auch im Fremden finden. Die Ufer des Baikalsees lassen sich für kurze Zeit als Ostseestrand umdichten, der Wald in Sibirien riecht wie der in Brandenburg, die Hügel in der Zentralmongolei erinnern an die Alpen, das Wandern mit anderen Reisenden fühlt sich an wie ein gemeinsamer Ausflug mit Freund*innen zu Haus.