Seit drei Wochen bewohnen wir nun schon unser Domizil mit Ausblick, mitten in Downtown Hòng Gai. Bevor wir hier ankamen, hatten wir schlimmste Befürchtungen, von Millionen Touristen aus aller Welt war die Rede, die in die Bucht strömen und die Ausflugsboote bevölkern, und in unseren schlimmsten Träumen sollten wir für einen Monat mitten zwischen Karaoke-Bars und schreiend angepriesenen Touristen-Restaurants leben, wo man vor Menschenmassen und Moped-Schwärmen gar keinen Fuß vor die Tür setzen möchte.

Die Realität sieht zum Glück ein wenig anders aus.

Es mag ja sein, dass jährlich fünf Millionen Touristen hierher kommen, um die eindrucksvollen Karstfelsen aus dem Wasser ragen zu sehen, aber in unserem Teil von Ha Long kommen sie jedenfalls nicht. Die Stadt teilt sich in zwei Teile, die durch eine imposante (und imposant beleuchtete) Brücke miteinander verbunden sind, und der andere, westliche Teil ist der touristischere, mit Wasser-Erlebnispark und Anlegestelle für Kreuzfahrtschiffe. Hier im östlichen Teil erleben wir hingegen eine aufstrebende Stadt, die noch nicht so richtig da angekommen scheint, wo sie hin will.

Aller Orten sprießen neue Gebäude aus dem Boden, es gibt mehrere Baugebiete, auf deren Bauzäunen man die zukünftigen Luxushotels und europäisch inspirierten Wohnviertel bestaunen kann, inklusive europäisch aussehende Bewohner. Die Wohnblocks, die schon fertig sind, überzeugen momentan noch mit gähnender Leere, abgesehen von dem einen oder anderen Café. Neue Business-Gebäude aus Glas und Beton und große Shoppingmalls sind zwar vorhanden, aber wirken ebenso noch eher als Fremdkörper denn als Mittelpunkte des sozialen Lebens.

Das passiert noch eher zwischen den ganzen Neubauten, und sieht auch noch eher so aus wie man es eventuell von Vietnam erwarten würde. Die Markthalle direkt hinter der neuen Shoppingmall, mit diversen Geruchsimpressionen und einem Überangebot an Meeresfrüchten und unbekannten Obstsorten ist sehr gut besucht, genau so wie abends der aus kleinen Plastikhockern und -tischen bestehende Imbissstand direkt am zentralen Kreisverkehr, bei dem wir bis jetzt noch nicht verstanden haben was eigentlich genau da verkauft wird. Bei einem Spaziergang durch die Gassen unseres Viertels erlebt man viel Outdoor-Kultur, von dem in alle Einzelteile zerlegten frisch geschlachteten Schwein, über die abendliche Dusche, und natürlich dem gemeinschaftlichen Essen, viel Leben passiert auf oder an der Straße. Auch die Häuser und Wohnungen sind so gestaltet, dass oft eine große Tür direkt in das Wohnzimmer führt, aus der die versammelte Familien interessiert auf die vorbeischlendernen Ausländer schauen.

Was aber alle Gebäude und Straßenzüge, neu wie alt, noch leer wir lebhaft bewohnt, gemeinsam haben, ist eine tägliche steigende Zahl an vietnamesischen und kommunistischen Flaggen. Unsere Gastgeber erklären uns, dass das mit dem nahenden vietnamesischen Unabhängigkeitstag zusammenhängt, der der Ausrufung der Unabhängigkeit durch Ho Chi Min 1945 gedenkt. In der Vorahnung von imposanten Paraden, marschierenden Schülergruppen in bunten Uniformen und Ehrung von lamettabehangenen Veteranen nehmen wir uns vor, den Tag zu Fuß in der Stadt zu erleben. Was und dann aber erwartet, ist: Ein Feiertag wie er auch in Deutschland nicht großartig anders wäre, abgesehen von den doch offenen Geschäften. Von Paraden und Feierlichkeiten keine Spur, der Verkehr fließt und hupt wie eh und je. Trotzdem erleben wir auf unserem ausgedehnten Spaziergang nochmal ein Ha Long, wie wir es kennen und schätzen gelernt haben. Lebhaft, bunt, mit kleinen Überraschungen und enspannten Einwohnern. Auch ohne Parade ganz schön.