Als Hung mich in Da Lat ansprach, ob ich nicht mit ihm ne Dreitagestour mit dem Motorrad durch Südvietnam machen will, hatte ich sofort Lust. Auch nach fünf Wochen Vietnam hatte ich das Gefühl immer nur einen bestimmten Ausschnitt des Landes zu sehen. Alle Tourist*innen, die wir unterwegs trafen - uns eingeschlossen, machen die gleiche Route. Entweder von Nord nach Süd oder andersrum. Den Banana Pancake Trail. Aber ich hatte das Gefühl Land und Leuten damit nur sehr begrenzt näher zu kommen. Eher hatte ich in Hanoi, Hue und Hoi an das Gefühl in einer Blase unterwegs zu sein, die extra für Tourist*innen designt wurde. Eine Blase, die bei Lonely Planet und Trip Advisor empfohlen wird. Eine Blase, wo überall Englisch gesprochen wird, es Hotels und Hostels und Touren gibt wie Sand am Meer, wo mehr oder weniger seichte Drogen konsumiert und Parties gefeiert werden. Ohne Locals. Natürlich. Die Locals sind die, die durch die Bettenburgen verdrängt werden. Die Locals sind die, die kein Lächeln mehr für die Tourist*innen übrig haben, es sei denn es verspricht Geld. Die Locals sind die, die versuchen einen abzurippen. Ganz plakativ gesagt, sind das in meinen Augen die zwei wesentlichen Rollen auf dem Banana Pancake Trail. Und klar, ich bin und bleibe Touristin. Aus der Rolle komme ich nicht raus. Aber mit Hung konnte ich ganz fix vom Banana Pancake Trail runter. Und das war sehr verlockend! Nur die Kohle. Die Tour würde bedeuten, dass ich an 3 Tagen soviel Geld nur für mich ausgeben würde, wie es sonst für uns zwei für 4 Tage halten soll. Am Ende habe ich mir gesagt, so schnell komme ich nicht wieder hierher. Ich gebe das Geld jetzt aus und mache die Tour mit Hung. Ich habe es nicht bereut. Außer mein Arsch. Der hat die 3 Tage auf dem Motorrad hart gelitten. Am Ende wusste ich nicht mehr wie ich sitzen soll.

Bevor wir auf Tour gegangen sind, war ich floristische Analphabetin in Vietnam. All die Pflanzen um mich herum sagten mir gar nichts. Und auch was es bedeutet in Vietnam zur Schule zu gehen, zu studieren, in der Armee zu dienen, einen Job, eine Familie und einen Alltag zu haben oder einer ethnischen Minderheit anzugehören: Ich hab Hung die drei Tage mit Fragen gelöchert, mega viel gezeigt bekommen und gelernt.

Wir waren auf Kaffee- und Teeplantagen, auf Kakao- und Blumenplantagen, auf Gummi- und Pfefferplantagen. In der Ziegel- und Seidenfabrik, in der Tee-, Kaffee-und Kakaoverarbeitung, in ehemaligem Kriegsgebiet und auf dem Ho Chi Minh Trail (dazu in einem der nächsten Posts was). Ich weiß jetzt, wie Reisschnaps gemacht wird und wie er schmeckt. Ich weiß jetzt, dass die Locals Schlangen und Wurzeln mit Reisschnaps übergießen und als Medizin trinken. Ich hab gesehen, wie Reispapier und Besen gemacht werden und wie schlecht die Tiere gehalten werden, die den ganzen Tag Kaffeebohnen fressen, um diesen sündhaft teuren Wieselkaffee zu produzieren. Wir waren in zwei Dörfern von ethnischen Minderheiten, von denen eine im Matriarchat lebt und beide den Katholizismus der einstigen Kolonialherren angenommen haben. Ich hab Avocado-, Zimt- und Kakibäume gesehen. Ich hab gelernt, das Schule hier kostenpflichtig ist, außer eben für die Kinder der ethnischen Minderheiten. Ich weiß jetzt, dass es sich eher rechnet Nudelsuppe zu verkaufen, als als Lehrerin zu arbeiten. Ich hab gelernt, dass nur die Leute, die für die Regierung arbeiten, Rente bekommen und dass jeder erstgeborene Sohn zwei Jahre zur Armee muss. Ich hab die Frauen in der Ziegelfabrik kennengelernt, die 8 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche arbeiten. Keine Aussicht auf bezahlten Urlaub. Keine Aussicht auf Rente. Ich weiß jetzt, dass Vietnam ein Problem mit HIV und Gewalt gegen Frauen hat und die Polizei korrupt ist. Ich weiß, dass seit 1992 extrem viel Menschen in kleinen Familienunternehmen arbeiten und versuchen sich damit über die Runden zu bringen. Ich hab gesehen, wie wunderschön das vietnamesische Hochland ist und hab die Freundlichkeit, leichte Unsicherheit und extreme Neugier vieler Leute erlebt und gespiegelt.

Durch Hung, der altersmäßig mein Vater hätte sein können und mich charakterlich an meinen Opa erinnert hat, habe ich soviel mehr von Vietnam gesehen, als ich es ohne ihn nie oder nur mit sehr viel mehr Zeit vermocht hätte.