Aus der Behaglichkeit des Lüneburger Alltags heraus, haben wir uns gefragt, ob es sowas wie Routine beim Reisen für uns geben wird. Oder ob wir ein Jahr lang Alltagsabstinenzler sein würden.
Jetzt nach acht Monaten unterwegs kann ich sagen, oh ja, es gibt einen Alltag. Nur ganz anders als der in Lüneburg. Langzeitreisen heißt für uns Leben unterwegs. Wir machen keinen Dauerurlaub. Wir wollen entdecken und sozial sein, wir brauchen Zeit zum Erholen und Verschnaufen, für uns und die Beziehung. Wir wollen Selbstwirksamkeit entfalten, Zusammenhänge verstehen, dazugehören, Freund*innen finden oder auch Mal nur rumdödeln. Wir wollen neue Türen aufstoßen aber auch einfach Mal die Tür hinter allem zumachen.
Was reisen, gerade ohne zu fliegen für uns, aber vor allem bedeutet, ist warten. Auf die Abfahrt diverser Busse, Züge und Fähren. Genau wie auf deren Ankunft. Reisen ohne fliegen bedeutet Langatmigkeit. Das kann schön sein. Oder richtig nerven oder fast ins Absurde abdriften. Zum Beispiel, wenn man selbst für 11 Stunden zusammengefaltet in einem unterkühlten Bus sitzt, während ein Freund die gleiche Strecke im Flieger in weniger als einer Stunde zurücklegt. Bei nur wenig höheren Reisekosten. Oder wenn man, wie wir jetzt gerade, leicht durchgequirlt morgens um zwei Uhr an einem Bahnhof in Südthailand auf seinen Zug ins 15 Stunden entfernte Kuala Lumpur wartet, der heute aber erst um vier Uhr fährt.
Unser Reisealltag bedeutet öfter Mal mit versifft-klebrigen Körpergefühl auf diversen speckigen Oberflächen ein bisschen Schlaf zu suchen. Ungeachtet irgendwelcher Tages- und Nachtzeiten.
Er bedeutet, sich ständig darüber zu informieren, wie wir vom nächsten A zum nächsten B kommen. Wie wir uns möglichst wenig abzocken lassen.
Er bedeutet, wahnsinnig viel Energie darauf zu verwenden unsere täglichen Grundbedürfnisse nach Schlaf, Essen, Sicherheit und Privatsphäre zu sichern. In Ländern, deren Sprache wir nicht sprechen, deren Schrift wir nicht lesen, deren Kultur und soziale Gewohnheiten wir schwerlich durchblicken.
Er bedeutet ständig in den banalsten Alltagsdingen mit Überraschungen konfrontiert zu sein, mit einem Geflacker aus liebevollen Familienzusammenhalten und schöner Natur, aus derber Armut und Umweltverschmutzung, aus Propaganda und grell beleuchtetem Wohlstandsgeballer. Das alles im Vorbeigehen. Im Vorbeifahren.
Unser Reisealltag bedeutet auch fernab vom Alltag sämtlicher Freund*innen und Familie zu sein. Skype und WhatsApp sind dicke Buddies von uns geworden, um die geografische Ferne hier zu überbrücken. Zugleich sind wir zwei, bei allem was wir tun, die Basis. JuMu ist wahrscheinlich die größte Konstante auf dieser Reise und wahrscheinlich auch die einzige Gemeinsamkeit zwischen dem Lüneburger Alltag früher und unserem Reisealltag jetzt.
Reisealltag heißt für uns ständig Neues zu entdecken, ohne zu wissen, wo und wie es genau weitergeht. Steter Wandel und Ungewissheit sind unsere Routine geworden.
Ich mach Mal Schluss jetzt. Grüße von Gleis 1. Es ist jetzt drei Uhr morgens. In einer Stunde kommt unser Zug bis zur malaysischen Grenze. Wahrscheinlich. Den einzigen Anschlusszug des Tages von dort nach Kuala Lumpur haben wir schon verpasst. Und wenn schon: Unser neuer Alltag kennt keine fixen Termine.
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