Den Arsch voller Glück
Gepostet von Judith
am 23.12.19
(23.12.19 Ortszeit)
(Tag 309)
in Australien
thoughts
"Ich hatte den Arsch voller Glück und das Maul voller Beschwerden," so geht eine Zeile im Lied "Seltsames Licht" von Gisbert zu Knyphausen. Und so fühle ich mich auch (wenn auch in ganz anderem Kontext als Gisbert in seinem Song) angesichts der letzten 11 Monate, nur ohne die Beschwerden. Im Gegenteil mir platzen Kopf und Herz vor Dankbarkeit diesen Trip mit Mu machen zu können. Ich weiß nur nicht genau, wohin ich sie richten soll, die Dankbarkeit meine ich, deshalb landet sie jetzt hier aufm Blog.
Vor ein paar Wochen habe ich Mama an der Skype-Strippe und sie fragt mich, ob wir vielleicht Weihnachtswünsche hätten. Sie würde ein Päckchen nach Australien schicken. So lieb die Nachfrage auch ist, kommt sie mir doch absurd vor und ich antworte dann auch lachend: Aber bei uns ist doch schon das ganze Jahr Weihnachten!
Im Ernst, wir haben zufällig das große Glück Besitzer deutscher Reisepässe zu sein, der uns die Einreise in sämtliche Länder -nagut bis auf China - wahnsinnig leicht gemacht hat. Wir treffen andere Reisende, wie Jolie aus Vietnam oder Daniela aus Mexiko, die ganz andere Mengen an Formularen ausfüllen, Nachweise erbringen und Gelder zahlen müssen, um in dieselben Länder reisen zu können, wie wir.
Wir sind zufällig in Deutschland geboren und haben dort Jobs gehabt. Jobs, die uns ermöglichen in 4-5 Jahren genug Geld anzusparen, um für über ein Jahr alles hinzuschmeißen und um die halbe Welt zu reisen. Einfach so. Zum Spaß. Wir treffen Sidra aus Pakistan, die für zwei Wochen Urlaub in Malaysia macht. Sie sagt, sie könnte bis an ihr Lebensende arbeiten, pakistanische Löhne würden ihr dennoch keine Weltreise ermöglichen. Wie treffen Dimitri, einen jungen Schweißer aus Russland bei der Freiwilligenarbeit. Er genießt das Reisen seit einem Jahr, nachdem er 11 Jahre in Russland gearbeitet hat. Er sagt, er habe schon jetzt nicht mehr genug Geld, um nach Russland zurückkehren zu können.
Wir sind außerdem zufällig weiß. Wir wurden teilweise viel angestarrt und diverse Male als offensichtliche Touris übers Ohr gehauen. Aber es hat niemand wegen uns die Straßenseite gewechselt, die Sitze neben uns in Bus und Bahn gemieden, wie bei dem jungen Inder, der in Rumänien für Sinti / Roma gehalten und von vielen weißen Rumän*innen gemieden wird.
Wir kommen außerdem zufällig aus einer recht liberalen und individualisierten Gesellschaft. Wir sind Teil von Familien aber können uns frei bewegen. Waida - die alleinerziehende muslimische Mutter, die wir in Malaysia kennenlernen, kann das nicht, so gerne sie auch mit den Kindern reisen würde. Sie muss ihre Mutter mitversorgen und die hält überhaupt nichts vom Reisen, wie der Rest der Familie auch nicht.
Ich sag's nochmal: ich bin dankbar wie blöd, dass wir diese Reise machen können. Mir tut's leid für alle, die das gleiche wollen und es ungerechtfertigter Weise viel schwerer dabei haben. Ich bin dankbar, dass ich die Reise mit Mu zusammen machen kann. Ich bin dankbar für die Menschen, die wir bislang getroffen haben. Mit denen wir teilweise zusammengearbeitet haben oder gereist sind. Ich bin dankbar für (fast) alle Sinneseindrücke und für die Busfahrer*innen und Lokführer*innen, die Pilot*innen und Kapitän*innen, die uns knapp 40.000 km heil um den halben Erdball transportiert haben. Ich bin dankbar für die tollen Freund*innen und Familie zu Haus, mit denen wir in Kontakt sind und ich freu mir en Ast, dass wir ab morgen für einige Zeit bei meiner Schwester und Familie in den Blue Mountains sein werden. Denn erschöpft und ein bisschen zerballert von den letzten 11 Monaten bin ich auch. Mani, wir kommen!
Und euch allen die schönsten Weihnachten!