Manchmal entstehen auf unserer Reise Momente, in denen uns eben noch Fremde plötzlich etwas schenken wollen. Ich meine das vor allem im Sinn von tatsächlichen Gegenständen, wie z.B. den Regenschirm, den wir in Vietnam geschenkt bekommen haben. Ich meine aber auch Dienstleistungen und auch - zugegeben vielleicht etwas sehr weit gefasst - im Sinn von gemeinsamer Zeit oder guten Gesprächen. Diese Momente können awkward sein über lustig bis inspirierend oder ziemlich schön. Z.B. als ich bei einem Spaziergang in Alice Springs die etwa 75 jährige Lucy traf. Gemeinsam warteten wir auf den Sonnenuntergang und Lucy erzählte mir von ihrem Leben als Friseurin in Sydney, wie sie das Frisieren aufgab, um mit ihrem damaligen Freund durch Australien zu reisen, wie sie heut mit zwei großen Koffern allein reist, weil er Alkoholiker geworden ist und sie nicht vorhat, das Reisen jemals sein zu lassen. Solche Momente sind selten und unplanbar, sind Futter für Kopf und Herz und kleben im Gedächtnis.

Vor ein paar Tagen ist was verrücktes passiert: Es gab gleich einen Haufen solcher Momente. Alles fing im Hunter Valley, eine der Weinregionen Australiens, an. Wir dachten so eine Weintour gehört wohl dazu, wenn wir schon mal hier sind. Aber das wir die Tour übers Weingut und all die roten und weißen Bioweine für 20 € aufwärts pro Flasche plus Käseplatte kostenfrei probieren dürften, war jenseits jeglicher Vorstellung. Vielleicht lags daran, dass unser Tourguide selbst viel in Europa gereist ist und weiß, wie es ist länger Low Budget in der Ferne unterwegs zu sein? Vielleicht war er einfach happy, das die anderen Tourteilnehmerinnen ordentlich Wein gekauft hatten?

Aber damit noch nicht genug der Gastfreundlich- und Großzügigkeit: Vielleicht wars der Wein kurz nachm Frühstück, ein paar Kilometer weiter war Mu jedenfalls müde und schlief ne Runde im Van, während ich durch das verschlafene Dörfchen Wollombi streifte. Hier wurden vor 200 Jahren europäische Gefangene wie Sklaven an die örtlichen Bauern vermietet. Hier kamen Aboriginals einst für große Gatherings und Zeremonien zusammen. Heute ist Wollombi am Wochenende Pilgerort für Touris und unter der Woche Treffpunkt für 2, 5, 8 Feierabendbier der Locals. In der Garage der alten Feuerwehr traf ich auf Gary, der hier sein Studio hat, das gleichzeitig auch Ausstellung für die Öffentlichkeit ist. Gary hat Kunst in Sydney und in New York studiert. Ich schätze ihn auf Anfang, Mitte 70 und finde, er sieht aus wie eine liebenswerte Version von Rumpelstilzchen mit langem weißen Spitzbart und hellblauen Augen. Er zeigt mir, woran er gerade arbeitet, erzählt von einem Triptichon von ihm, das noch heute in einem Beratungsbüro in New York hängen müsste, und von seinem Buch über Marcel Duchamp. Als ich mich verabschiede, kramt er einen Probedruck heraus, unterzeichnet ihn und überreicht ihn mir. Auch wenn es "nur" eine Schwarz-weiß Kopie ist und ich keine Ahnung hab, wie ich das A3-Format heil nach Hause kriegen soll, freu ich mir tagelang einen ab.

Wie Mu schon beschrieben hat, treffen wir später in der Dorfschenke auf einen ziemlich besoffenen Patchie, der uns kurzerhand auf seine Farm einlädt. Es wäre ein wunderschöner Ort, meint er. Noch eine Woche danach bin ich über soviel spontane Freigebigkeit von den Socken. Wer ist schon bereit zwei Wildfremde mit zu sich nach Hause zu nehmen und obendrein auch noch zu sagen, fühlt euch wie zu Hause, hier habt ein Bier, nehmt euch was ihr an Essen braucht, bleibt solange ihr wollt und vllt habt ihr ja Lust hier und da ein bisschen mitanzupacken?!??

Am nächsten Tag stehen wir, nachdem wir beim Oliveneinwecken, Seife machen und Ziegenmelken geholfen haben, in Shelby's Hofladen. Da kommt Shelby mit einem Stück ihres selbstgemachten Olivenshampoos um die Ecke und schenkt es mir. Einfach so. Weil ich ihr erzählt hatte, dass ich gern auf Naturkosmetik umstellen würde. Jetzt schnüffel ich jeden Tag selig in die Papiertüte mit der Seife, dass Mu mich schon für völlig bekloppt hält.

Vielleicht ist es so, das wir ab und an einfach zur rechten Zeit am rechten Ort sind. Vielleicht sind viele Menschen einfach freigiebiger als ich bisher dachte. Vielleicht hat es was damit zu tun, dass wir Backpacker*innen sind und dass viele das sympathisch und abenteuerlich finden oder sich an eigene Reisen erinnert fühlen. Vielleicht kriegen wir manchmal etwas zurück, weil wir ernsthaft zugehört und interessiert nachgefragt haben. Vielleicht ist es, weil Leute einsam sind oder stolz auf ihre Arbeit oder weil sie gemerkt haben, das sie uns eine Freude machen können oder weil sie etwas loswerden wollen - eine Story, ein Ding, uns :D. I don't know. Oft ist es mir nicht ganz klar, wie plötzlich so ein besonderer Moment entsteht. Vielleicht lässt sich das auch Ursache-Wirkungsmäßig nicht immer 100%ig erfassen und vllt ist das auch egal.