Richtig backpacken: Gibt's das?
Gepostet von Judith
am 26.02.20
(26.02.20 Ortszeit)
(Tag 374)
in Portugal
thoughts
Im Biostudium hatte ich in der Botanikvorlesung eine Professorin mit Haaren auf den Zähnen. Und zwar so richtig. Wenn nicht wenigstens eins der 200 Studihirne im Saal richtig auf ihre Fragen parierte, begann sie uns alle mit derbst diabolischen Blicken zu strafen, ihre Hände manisch aneinander zu reiben und so Halbsätze in unsere Richtung zu spucken wie: "Armes Deutschland!" Oder "Nächstes Mal Gehirn mitbringen!" Nah am Wahnsinn hatte diese Professorin aber auch eine ansteckende Leidenschaft für Pflanzen und erzählte begeistert Geschichten von ihren Forschungsreisen in aller Welt. Mehr als einmal hat sie uns gesagt: Reisen Sie! Geld ist keine Ausrede. Reisen muss nicht teuer sein!
Jetzt reisen wir schon seit einem Jahr und haben die verschiedensten Reisemodi ausprobiert. Waren Mal schnell und Mal langsam unterwegs, waren in Megacities und am A*** der Heide, waren Mal couchsurfen, in Hostels, dann wieder Zelten oder mit dem Van unterwegs. Wir sind nur zu zweit gereist, bis sich die Beziehungsbalken bogen und die Nerven dünn waren. Wir waren mit anderen Travellern unterwegs oder bei Locals zum Arbeiten. Wir haben uns immer wieder gefragt: Was ist der richtige Reisemodus? Wie geht richtig Backpacken?
Im Lauf der Reise haben wir Backpacker*innen mit den verrücktesten Reisezielen und -modi getroffen oder entsprechende Geschichten gehört und unser eigenes Unterwegsstein dagegen gehalten. Da ist z.B. die junge Europäerin, die sich in der Mongolei zwei Pferde kauft und mit ihnen und Zelt durch den sibirischen Winter bis nach Polen reitet. Da ist der junge Brite, der sich die zwei kältesten Orte Asiens rausgesucht hat, um dann die sich dazwischen aufspannende Route allein und mit Zelt abzuwandern. Da ist die Gruppe von Backpacker*innen in Kambodscha, die extra hierher gekommen sind, um sich ein weiteres Tattoo stechen zu lassen. Da sind die Leute, die von einem Festival zum nächsten ziehen, von einem Hippietreffen zum nächsten. Da sind die, die sich einfach mal richtig die Rübe mit Drogen wegballern und feiern oder aufs härteste chillen wollen. Oder die, die jede kleine Strecke mit dem Flieger machen, sich teuren Schampus bestellen und in feinen Hotels und großen Ferienwohnungen absteigen. Da sind die Leute, die am Straßenrand ihren Schlafsack ausrollen, bevor sie nächsten Morgen weiter trampen. Da ist der junge Typ, der durch Südostasien tindert und so nicht nur kostenlose Unterkünfte findet, sondern auch jede Menge Sex. Da ist das französische Paar, das nicht mehr zurück will und ein Land sucht, wo es stattdessen bleiben und gut leben kann.
Wir haben gemerkt: Das eine richtig Backpacken gibt es nicht. In der Art, wie jede*r reist, wie wir reisen, spiegeln sich unsere persönlichen Werte und Bedürfnisse genauso wieder wie unsere Grenzen und Schwächen. Jeder Reisemodus ist ein persönliches Statement, mit dem man sich auch angreifbar macht. Z.B. wenn man sich das Ziel gesetzt hat möglichst wenig zu fliegen und dann Dank Kerosins innerhalb von 35 h soviel Kilometer zurücklegt, wie sonst innerhalb von vier Monaten. Was soll ich sagen? Am ehesten wohl: Wir sind auch nur Menschen. Die wegen Corona auf Nummer sicher gehen wollen und die auch irgendwann Mal nach Hause kommen wollen. Die Welt ist hardcore divers und Reisen ein tolles Privileg aber irgendwann will ich auch Mal wieder mehr sein als Zuschauerin, Durchreisende, als jemand, die anderen hilft ihre Projekte zu verwirklichen und alle paar Wochen wieder von null anfängt eine neue Kultur zu verstehen. Versteht mich nicht falsch. Ich bin sehr sehr froh über diese Reise und ihr wisst wahrscheinlich wie gern ich Fahrrad fahre. Ich freu mir jetzt schon den Arsch ab, dass wir uns Westeuropa erradeln wollen. Aber irgendwann bald wieder sowas wie ein Zuhause, eigene Projekte zu haben und Leuten nicht ständig wieder tschüss sagen zu müssen, das wär was. Außerdem feiert Oma ihren 90., wer kann da schon nein sagen? ;*