Wir begegnen auf dieser Reise einem Haufen Leuten aus den Ländern, in denen wir gerade unterwegs sind und anderen Reisenden aus aller Welt. Wir haben uns diesen Kontakt und Austausch von Anfang an arg gewünscht und gesucht, auch wenn wir nicht so genau wussten wie wir ihn initiieren sollten. Mittlerweile haben wir ein bisschen gelernt, wie der Kontakt-Hase läuft. Für uns. Nämlich viel über Hostels, Couchsurfing und Workaway aber auch über FreeWalkingTours, die es bisher in jeder größeren Stadt gab.
Die Kontakte reichen von kurzem Abklopfen: Werbistdu?-Wokommstduher?-Wasmachstduhier? - Über Reiseerfahrungen und -tipps austauschen, gemeinsam reisen, zusammen wohnen und zusammen arbeiten. Und natürlich funzt es nicht immer auf zwischenmenschlicher Ebene. Und natürlich legt die Reise ein schnelles Stakkato an Kennenlernen und Abschieden vor. Und natürlich entstehen nicht unbedingt Freundschaften auf Lebenszeit. Aber das macht nichts. Bislang zumindest. Die Kontakte haben auch so ihre Qualität: Sie füttern Herz und Seele, sie zerren uns aus der Komfortzone, halten uns den Spiegel vor, verschalten unsere Synapsen und Denkpfade neu und sind Inspiration für Wie-man-Dinge-auch-sehen-kann bzw. für Wie-man-auch-leben-kann. In meinen Augen funktionieren diese Kontakte am besten im Hier und Jetzt. Ungefähr so stelle ich mir Speed-Dating vor. Eigentlich machen wir seit 3 Monaten nichts anderes, als interkulturelles Speed-Dating ohne Flirten. :D Irgendwie so. Oder auch nicht. Anyway, zur Veranschaulichung hier drei Beispiele:

Da ist z.B. Daniela aus Mexiko, Mitte zwanzig. Vor ein paar Jahren hat sie mit dem Boxen angefangen und ist fürs Training extra in die USA gegangen. Dort soll in ein paar Wochen ihr erster Boxwettkampf stattfinden und es soll gleichzeitig ihr einziger sein. Danach will sie gern ihre eigene Boxschule aufmachen. Wir treffen sie in Albanien und in Rumänien, sie reist allein durch den Balkan, weil es eine billige Gegend ist, um Europa kennenzulernen und möglichst viel Englisch zu sprechen. Sie arbeitet vor Ort als Freiwillige für Kost und Logis und hat daneben einen kleinen Onlineshop, über den sie Hundeaccessoires in Mexiko verkauft, um ein bisschen Geld reinzukriegen. Fast jeden Morgen vor der Arbeit sehen wir sie mit Boxhandschuhen, Springseil und Sportklamotten losziehen – für ihren individuellen Trainingsplan im Park, am Strand etc.

Da ist Valentin, ein Endfünfziger aus Odessa in der Ukraine. Seine Gestalt hat etwas von der tschechischen Figur Spejbl, hoch geschossen und mager. Sein Lächeln ist etwas kantig und die Zähne schlecht. Er wirkt auf mich wie jemand, der einiges durchgemacht hat und erzählt uns dann auch, dass er eine Weile im Gefängnis saß. Seine Leidenschaft, sein Leben, seine Energie brennt aber für die Katakomben unter Odessa. Die Stadt am Schwarzen Meer ist größtenteils aus Kalkstein gebaut und die Ressourcen wurden über Jahrhunderte direkt unter der Stadt gewonnen. Später wurden die Katakomben von Kriminellen, Partisan*innen und Zivilist*innen als Fluchtweg, Versteck, Lager, Bunkerersatz und Wohnung genutzt. Die Stadt schert sich wenig um diesen unterirdischen stockdunklen Irrgarten, indem es immer wieder zu Einstürzen kommt. Valentin hat die Katakomben auf eigene Faust erforscht seit er ein kleiner Junge ist. Studiert hat er nie. Heute gibt er Führungen für Tourist*innen und träumt davon noch zu Lebzeiten ein Museum zu eröffnen, weiß aber auch, dass seine Zeit rennt und die Stadt nicht gerade auf seiner Seite steht.

Da ist Jenny, noch keine dreißig, aus Sibirien in Russland. Sie hat sich mit 19 mit einer Firma für Heliumluftballons und Festschmuck selbstständig gemacht, nach ein paar Jahren das Interesse verloren und die Firma verkauft. Sie träumt vom eigenen Haus, seit sie Anfang 20 ist aber die Eltern meinten lange zu ihr, Kind, du bist verrückt und auch so jung, heirate doch erst Mal. Also hat sie geheiratet, um dann endlich ihr Haus bauen zu können. Mittlerweile ist sie geschieden. Das Haus – irgendwo im nirgendwo, ist fertig, indem sie mit ihrem querschnittsgelähmten Hund lebt und Freiwillige aus aller Welt aufnimmt. Gerade geht sie einem Vollzeitjob nach, zu dem sie täglich 3-4 Stunden pendelt, um die Kredite fürs Haus abzahlen zu können und bewirbt sich parallel mit einer neuen Startup-Idee um finanzielle Unterstützung.

Ich bin sehr froh und dankbar all diese Menschen treffen zu können, Fragen stellen zu dürfen, massive Gastfreundschaft zu erleben aber auch totale Weirdness und Kauzigkeit. They crack my brain and heart open. I‘m learning a lot.